02.03.24
Momo und das meditative Händewaschen
Vor kurzem habe ich meinen Kindern den Romam Momo vorgelesen. Ich war beeindruckt von der Tiefe dieses Werkes.
Die Menschen in diesem Roman erleben, was wir alle tun: wir versuchen schneller zu sein, um Zeit einzusparen. Im Roman geschieht dies mit der Entscheidung der Menschen, einen Vertrag mit den grauen Herren abzuschließen. Sobald der Vertrag in Kraft tritt, verlieren die Menschen die Tiefsinnigkeit Ihres Lebens und arbeiten, als ob sie sich vor etwas retten wollten. Zwar könnte man sagen, es sei die Schuld der grauen Herren, die die Menschen überzeugt haben, doch teilt Meister Hora Momo mit, dass sich die Menschen für die grauen Herren entscheiden.
Zwei gegensätzliche Beispiele liefert das Werk, die unser Problem aufzeigen, unabhängig davon, in welchen wirtschaftlichen Verhältnissen wir uns befinden: der redegewandte Gigi Fremdenführer, der Freund Momos, der erfolgreich wird und von Radio und Fernsehen gebucht wird. Sowie Beppo Straßenkehrer, der am Anfang des Buches ja meditativ kehrt und nach der Vereinbarung mit den grauen Herren "um sein Leben kehren muss". Beide verlieren sich selbst und finden sich selbst in einer Hölle wieder, wie Gigi sagt: "Das ist zwar auch eine Hölle, aber wenigstens eine bequeme".
Da wir alle von Zeit getrieben und gesteuert sind, befinden wir uns auch in einer solchen Hölle. Dieser Gedanke ist widerlich, doch es lohnt sich, ihn sich anzuschauen. Er verleiht eine Motivation, Momos Weg zu gehen. Wie Gigi macht man sich die Hölle bequem, hinterfragt aber nicht die Hölle selbst, will sie nicht zurücklassen. So sagt Gigi: "Ich kann nicht mehr zurück, selbst wenn ich wollte." Michael Ende bringt es auf den Punkt: am Ende des Buches reißen sich die grauen Herren gegenseitig die Zigarren und damit die Zeit, damit auch das Leben weg. Etwas, das wir alle in der Hölle tun und als ihre Eigenschaft bezeichnet werden kann: überleben kann nur derjenige, der dem anderen etwas wegnimmt. Sei es wirtschaftlich, an Nahrung, an Atemluft.
Im Rahmen des Romans ist Momos Weg die Lösung, begleitet durch die weise Schildkröte. Man könnte sagen, wir haben alle eine solche Schildkröte, die uns an das Nirgend-Haus hinter den Traumstraßen erinnert. Nirgend ist aber nicht physisch, nicht physisch ist außerhalb der Zeit und Traumstraßen deuten darauf, dass es sich um eine gedankliche Arbeit handelt. Aber wie kommen wir dorthin?
Da sich die Menschen laut Meister Hora für die grauen Herren entscheiden, leiten wir ab, dass sie sich auch gegen sie entscheiden können. Um diese Entscheidung zu treffen, ist es hilfreich zu sehen, in welche Situation uns die grauen Herren gebracht haben: der Blick auf die Hölle. Dieser Blick motiviert innezuhalten, zu hinterfragen, dem Rätsel ins Auge zu schauen, anzuhalten und unserer langsamen Schildkröte von außerhalb der Zeit zu folgen.
Mit ihrer Hilfe erfährt Momo ihr inneres "Geheimnis": sie wird von ihr durch die "Traumstraßen" zur "Nirgend Gasse" ins "Nirgend-Haus geleitet, d.h. nicht physisch vorhanden, also geistig. Michael Ende gibt uns den Hinweis, dass wir nicht im außen suchen müssen, wie Gigi, Beppo und Nicolas der Restaurantbesitzer es versuchen, sondern an einem Ort außerhalb der Welt, also in unserem Inneren.
Der Zusammenhang zur Seife liegt darin: kleine Anker im Alltag, kleine Anker der Erinnerung an unsere Schildkrörte können uns dazu verhelfen, immer wieder wie Momo zu werden. Ich habe den Moment des Händewaschens dafür entdeckt. Ein Moment, in dem Gedanken aufhören. Ein Moment, in dem ich die Seife in meinen Händen spüre und nach innen gehen kann. Ich finde, dazu eignet sich besonders Festseife, da sich ihre Form in den Händen fühlen lässt. Aber es ist mit Flüssigseife genauso möglich. Genauso kann aber auch jeder andere Gegenstand dienen, zu jeder Handlung im Alltag, so wie Beppo jeder Kehrbewegung eine Bestimmung gibt.
Momo kommt zurück in die Welt und erinnert sich immer wieder an diesen inneren Ort: sie hört innerlichdie Musik der Stunden Blumen, die Melodie ihres eigenen Herzens.
Auch wir können uns an diese Melodie erinnern. Die Melodie von außerhalb der Zeit kommend, stehen wir zu jedem Zeitpunkt vor der Wahl, uns den grauen Herren anzuschließen oder uns mit unserem Herzen zu verbinden.